Nachdem es im ersten Teil allgemein um Vektorgrafiken und deren Prinzip ging, möchte ich hier einige wichtige Funktionen des Vektorzeichenprogramms Inkscape zeigen. Inkscape ist quasi das Programm für Vektorgrafiken schlechthin, es hat die größte Community und ist außerdem als freie Software (GPL-Lizenz) für alle Plattformen (Betriebssysteme) verfügbar. Proprietäre (kostenpflichtige und unfreie) Vektorzeichenprogramme gibt es beispielsweise von Adobe (Illustrator), Macromedia (Freehand), Corel (CorelDraw) oder Xara (Xtreme). Weitere freie Programme wären Apache OpenOffice (ehemals OpenOffice.org)/LibreOffice Draw oder Karbon14 (KOffice) als Teile von Office-Suiten. Weiters sind Xfig und Ipe sind für wissenschaftliche Arbeiten geeignet. Inkscape verwendet (im Gegensatz zu den proprietären “Alternativen”) als natives Format SVG, das einen offenen, XML-basierten Standard darstellt, und kann mit diesen auf jeden Fall mehr als mithalten (Laut meinen Quellen, ich selbst kann die Programme nicht vergleichen). Die Bedienung ist aber im Allgemeinen bei allen Programmen in etwa gleich.
Die Oberfläche
Das Arbeitsfenster wirkt hoffentlich wie erwartet recht aufgeräumt. Während auf der linken Seite diverse Werkzeuge zu finden sind, befindet sich in der Fußleiste eine Farbpalette. Bei Bedarf erscheint rechts (zusätzlich zu den Rasteroptionen) ein Fenster zu Objekteigenschaften (zB. Füllung und Konturen) und im oberen Bereich gibt es natürlich das Menü, das beladen ist mit den üblichen Funktionen und Einstellungen. Im eingebundenen Bild ist bereits ein Raster eingeblendet, was standardmäßig nicht der Fall ist. Sehr einfach (de)aktivieren lässt sich dieser mit der Taste #, diese Taste ist wohl neben Ctrl und Shift die in Inkscape Meistgenutzte. Ebenfalls zu sehen ist ein Arbeitsblatt im A4-Format (das ist wiederum Standard), wenn zu Beginn nicht klar ist, welche Ausmaße das Endprodukt haben wird, ist dies völlig irrelevant. Es lässt sich immer über den Rand hinaus zeichnen, denn die Größe ist nur durch technische Gegebenheiten begrenzt, und das Format lässt sich zu jeder Zeit in den Dokumenteinstellungen ändern (Unter Datei bzw. als Icon in der Symbolleiste). Das automatische Anpassen auf die Bildgröße/Auswahl ist hier sehr hilfreich.
Ich denke die Farbpalette ist großteils selbsterlärend, oder? Ach was, trotzdem ein paar Worte dazu! Wenn ein Objekt markiert ist, lässt sich direkt dessen Füllfarbe bestimmen. Ohne Markierung wird die Einstellung auf alle folgenden Objekte angewandt. Mit Shift+Klick wird die Konturfarbe ausgewählt (Hinweise dieser Art Erscheinen immer unter der Palette). Rechtsklick auf eine Farbe (mit gewähltem Objekt bietet auch beide Möglichkeiten. Nach einem Doppelklick auf die unter der Leiste gelegene Übersicht zu Füllung und Kontur (oder mit Ctrl+Shift+F) erscheint das bereits erwähnte Fenster zu genaueren Einstellungen auf der rechten Seite. Gleich unter der Palette befinden sich ein paar Ebeneneinstellungen (Auswahl, Sichtbarkeit und Sperrung). Um ehrlich zu sein: Ich habe sie noch nie benötigt, aber falls ich sie bräuchte, wüsste ich wo ich suchen muss :).
Zur allgemeinen Bedienung noch ein kurzer Tipp: Vertikales Scrollen funktioniert wie üblich, Skalieren mit Ctrl + Scrollen und horizontal mit Shift + Scrollen. Ich weiß von einigen anderen freien Grafikprogrammen, dass dies de-facto Standard ist.
Formen
Nun, dann kanns ja eigentlich schon losgehen! Aber womit eigentlich? Keine Angst, ich zeige nicht, wie sich Rechtecke erstellen lassen und stelle die Tools auch nur kurz vor, denn experimentieren geht über studieren.
Interessant ist zB., dass sich mit dem Rechteckwerkzeug (F4) Kreise zeichen lassen! Wie das? Das Rechteck-Werkzeug lässt es zu, die Kanten abzurunden, und ein komplett abgerundetes Rechteck ist eine Ellipse und ein abgerundetes Quadrat ist ein Kreis! Diese Funktion verwende ich sehr gerne für Boxen, in denen sich Text befindet.
Aber natürlich gibt es auch ein richtiges Werkzeug dafür (F5), damit lassen sich auch sehr einfach Kreissektoren erstellen. Als Beispiel zeige ich im Beispielbild nicht nur Fragmente von Spielereien, sondern auch das Warnzeichen für radioaktive Stoffe. Es hat nicht einmal zwei Minuten gedauert es zu zeichnen und besteht nur aus Kreisen und Kreissektoren.
Je nach aktiviertem Werkzeug erscheinen im Menüleistenbereich zusätzliche Einstellmöglichkeiten. Beim Kreiswerkzeug lässt sich zwischen Kreissegmenten (begrenzt durch eine Kreissehne) und Kreissektoren (begrenzt durch zwei Kreisradien). Das Stern-Werkzeug (ja, so etwas gibt es auch!) bietet Einstellungen zu den Ecken, Abrundungen und Spitzen sowie zur Art.
Die weiteren Werkzeuge (Sterne, Spiralen, Kalligraphisches und Freihand Zeichnen, 3D-Boxen, Verformung, Füllen und Farbverläufe uvm.) möchte ich hier nicht mehr erwähnen, denn wichtiger für uns sind ja die Pfade! Wer sehen will, das welche Formen so möglich sind, möge sich das eingebundene Bild ansehen, für das ich mich ein wenig gespielt habe. Fest steht auf jeden Fall, dass es unglaublich viele Möglichkeiten gibt, und nein, ich kenne die nicht alle!
Pfade bearbeiten
Um mit Pfaden experimentieren zu können, müssen zu Beginn einige vorhanden sein. Natürlich gibt es dazu ein Werkzeug im mittleren Bereich des Werkzeug-Panels, durch Klick werden die Punkte definiert und durch darauffolgendes Ziehen die Tangente, die die Richtung und Kurve festlegt. Das Editieren erfolgt mit dem Werkzeug, das gleich das Zweite im Panel ist (F2). Wer nicht eigenene Pfade erstellen möchte, kann es auch einfacher haben, um eine Arbeitsgrundlage zu erhalten. Es ist möglich einfach ein beliebiges Objekt oder einen Schriftzug in einen Pfad umzuwandeln (Pfad -> Objekt in Pfad umwandeln) oder sich welche mit den Erweiterungen generieren lassen. Im Beispielbild oben habe ich mir ein 3D Polyhedron rendern lassen (dreidimensionale geometrische Figuren im euklidischen Raum), welche nur aus Pfaden bestehen.
In einem Polyhedron (Ich habe ein großes Dodecahedron gewählt) stellt jede einzelne Fläche einen Pfad dar, der aus einer Kontur und einer Füllung besteht. Da das Polyhedron eine Gruppe darstellt, muss diese erst geöffnet werden (Doppelklick) um auf die Pfade zugreifen zu können. Nach zweimaligem Doppelklick auf ein Objekt wählt Inkscape automatisch das passende Werkzeug, oder man verwendet das Tastenkürzel F2. Beim „Hovern“ eines Pfades erscheinen die Umrisse in blau, bei ausgewählten Objekten in rot. Diese aktiven rote Pfade lassen sich nun beliebig verändern. Das einfache Verbiegen durch Verschieben eines beliebigen Punktes ist relativ einfach. Es lassen sich aber komplexere Strukturen bilden. Mit einem Doppelklick schafft man nicht nur eine Unterbrechung im Pfad (dargestellt durch graue Rechtecke), sondern die Pfade lassen sich auch wie Bezierkurven bearbeiten, vorausgesetzt es handelt sich um geglättete Knoten. Das Gegenteil davon sind Ecken, welche keine Anfasser für die Änderung der Biegung (Bézier-Anfasser) besitzen, aber dafür für abrupte Unterbrechungen in ansonsten gescheidig verlaufenden Pfaden sorgen können. Wie bei jedem Werkzeug hat auch das Pfad-Werkzeug so einige Möglichkeiten, die sich im oberen Panel zeigen.
Arten von Knoten
Es ist nicht schlecht, die verschiedenen Arten von Knoten zu kennen, da unterschiedliche Knoten vom Bézierwerkzeug erstellt oder von Erweiterungen generiert werden. Der vierte Abschnitt der Pfad-Werkzeugleiste (und dem Menü) bietet die Möglichkeit die Art eines Knoten zu ändern. Die erste Knotenart ist die Ecke. Eine Ecke durchbrichten den abgerundeten Verlauf des Pfades, haben aber noch immer die Bézieranfasser um die angrenzenden Strecken zu beeinflussen. Die “normale” Art sind abgerundete Knoten, die wieder 2 Anfasser bieten und für einen runden Verlauf des Pfades sorgen. Die symmetrischen Knoten sind abgerundete Knoten mit einer Spezialität: Die beiden Tangenten sind immer entgegengesetzt gerichtet und stets gleich lang. Der letzte Knopf im angesprochenen Panel rundet gewählte Knoten automatisch ab.
Wer die kalligraphischen Aspekte Aspekte der Bézierkurven üben möchte, dem sei Shape Type empfohlen. Die JavaScript-Applikation erlaubt es Teile von Schriftzeichen zu korrigieren indem die Bézierkurven verändert werden. Lieder kommen aber immer nur die gleichen Zeichen und Schriftarten, was es ein wenig langweilig macht. Es ist dennoch einen Versuch wert!
Pfad-Effekte
Damit es nicht langweilig wird, gibt es auch eigene Effekte für Pfade. Hier handelt es sich meist um bereits aus rasterorientierten Bildbearbeitungsprogammen Effekte, die für Vektorgrafiken adaptiert wurden.
Beliebt für Texte is beispielsweise ist der Pfad-Effekt Biegen, womit sich Pfade (also alle möglichen Formen, auch Texte) als Ganzes wie eine Bézierkurve verarbeiten lassen, wie im Bild nebenan dargestellt. Um dies zu Erreichen muss zuerst der Pfad ausgewählt werden (Einzelne Pfade = Buchstaben müssen eventuell zuerst vereinigt werden) um dann in den Pfad-Effekten (Pfad -> Pfadeffekte) den Effekt Biegen zu wählen. Gebogen wird dann indem man als “Biegewerkzeug” das Bézierwerkzeug verwendet um den Pfad direkt auf der Zeichenfläche zu bearbeiten. Es lassen sich aber auch Pfade an beliebige andere, bereits exististente Pfade anpassen, sodass sich etwa kann ein Text um eine Kugel herumgebogen wird. Der Fantasie sind also keine Grenzen gesetzt!
Besonders witzig is der Effekt Zahnräder, dieser zeichnet Zahnräder in passender Anzahl und Größe entlang eines Pfades!
Für besonders Anspruchsvolle gibt es übrigens auch ein integriertes Farbmanagement und eine ganze Menge an Erweiterungen. Eine besondere Möglichkeit wird im nächsten Artikel über Inkscape vorgestellt: Das automatische Vektorisieren. Ich hoffe ich habe hier einen kurzen Einblick in die Möglichkeiten von Inkscape und Vektorgraphiken geben können.
Übrigens: Wie gefällt euch der Blocksatz?
: Eine gute deutsche Übersetzung für Hovern gibt es leider nicht, es heißt in etwas darüberfahren (mit dem Cursor und ohne zu klicken). Webdesigner werden es gut von CSS kennen
Weiterführende Links:
- Mehr über die Möglichkeiten der Formen gibt es in der offiziellen Dokumentation auf inkcape.org: inkscape tutorial: Formen
- (Mathematische) Details zur Bézierkurve auf WP
- Vektorgrafiktutorial auf Wikimedia Commons
Als Gratis-Software im Vektorbereich ist Inkscape wirklich unschlagbar. Ich benutze es jetzt seit etwa einem Jahr und wenn man sich da erst mal reingearbeitet hat, kann man wirklich “professionelle” Layouts erstellen. Also klare Empfehlung :yes:
Ich habe mich ja immer noch nicht eingearbeitet, aber ich hole das nach sobald ich die Zeit habe. Vielen Dank für dein tolles Feedback!
Vielen Dank!
Ja, InkScape ist wirklich eine geniale Software. Wenn man sie einmal beherrscht, was sehr schnell geht, ist sehr viel möglich. Und das Ergebnis sind die unglaublich praktischen Vektorgrafiken, mit denen man nahezu alles machen kann.
Außer Fotos ausarbeiten, das geht schlecht
Wie geschrieben ich muss mich da wirklich einarbeiten – es klingt wirklich sehr spannend! Leider auf Grund von Zeitmangel gerade nicht möglich, aber bald!
Wow – toller Artikel!!! Sobald ich wieder ein bisschen mehr zeit und Luft habe werde ich mir InkScape laden und ausprobieren, mir hast du auf jeden Fall die Lust darauf gemacht!
Vielen Dank!